Zahnabrieb beim Meerschweinchen
Die Schneide- und Backenzähne beim Meerschweinchen wachsen lebenslang nach und müssen in der gleichen Geschwindigkeit, in der sie wachsen, auch abgeschliffen werden (Kamphues 2004). Durch falsche Ernährungsgewohnheiten oder Fehlstellungen kann der Abrieb gestört sein. In Diesem Beitrag erfahren Sie, wie Sie Meerschweinchen mit Zahnerkrankungen unterstützen können und wie der Zahnabrieb funktioniert.
Abrieb der Backenzähne
- Abrieb durch Kauen
Die Backenzähne schleifen sich beim Kauen gegenseitig ab und nicht – wie oft fälschlich angenommen – an der „harten“ Nahrung (außer die Nahrung ist härter als die Zähne).
„Je länger die Tiere mit der Futteraufnahme (Abbeißen, Kauen, Zermahlen) beschäftigt sind, um so günstiger ist dies auch für die Zahnabnutzung (Zähne nutzen sich nur aneinander, und nicht am Futter ab).“ Kamphues 2004
Demnach liegt es am Halter für einen optimalen Zahnabrieb zu sorgen, indem passendes Futter angeboten wird, das für viel Kauaktivität sorgt.
Viele Meerschweinchen reiben auch ohne Futter mittels monotoner Mahlbewegungen die Zähne aufeinander, was ebenfalls dem Zahnabrieb dient.
Hartes Brot ist übrigens ungeeignet für einen guten Zahnabrieb. Früher nahm man an, dass die Härte des Futters dem Zahnabrieb nutzt, allerdings ist allein die Kaudauer von Bedeutung, denn hartes Brot ist deutlich weicher als die Zähne. Da hartes Brot schnell satt macht, wird das Meerschweinchen nur sehr wenig kauen und die Zähne somit ungünstig gering abnutzen.
Das Futter müsste genauso hart oder härter als der Zahn sein, damit es den Zahnabrieb dienen würde. Das sind nur wenige Stoffe wie z.B. Diamanten oder Silikate. Deshalb nutzen Kaninchen ihre Zähne beim Kauen aneinander ab und nicht an der Nahrung.
Um das Meerschweinchen zum Kauen zu animieren, ist es wichtig, dass man nur sehr gut strukturiertes Futter anbietet. Ist das Futter fein gemahlen (Pellets, Trockenfutter, Extrudate, Heupellets…), so macht der hohe Rohfasergehalt keinen Sinn, nur strukturierte, ungemahlene Rohfaser ist ernährungsphysiologisch sinnvoll und wird entsprechend lange gekaut, um sie zu zerkleinern. Pellet-Futter ist bereits vermahlen und wird daher sehr wenig gekaut. Grün- und Raufutter ist hingegen strukturreich und ungemahlen und muss daher gründlich mit den Zähnen zermahlen werden.
„Energiedichte Futtermittel auf Getreidebasis werden zwar
bevorzugt aufgenommen, führen aber aufgrund von schneller Sättigung zu einer verminderten Kauaktivität.“
Hartmann 2007
Schmackhaftes Futter wird allgemein lieber und in größeren Mengen gefressen als weniger schmackhaftes Futter. Dadurch finden auch mehr Kaubewegungen statt – die Zähne werden besser abgemahlen. Besonders gerne und viel wird i.d.R. bei Grasfütterung gefressen.
Hat das Futter einen recht hohen Energiegehalt (Trockenfutter, Snacks, hartes Brot…), so muss das Meerschweinchen nur eine recht kleine Menge aufnehmen, um satt zu werden und macht verhältnismäßig wenige Kaubewegungen – dies führt zu Zahnproblemen (Hein 2007; Wolf u. Kamphues 1995).
„Je gröber das Futter und/oder je länger die Struktur der pflanzlichen Fasern, umso höher ist der für die Futteraufnahme benötigte Zeitaufwand. Je mehr Zeit auf das Fressen verwendet wird, umso besser sind die Abnutzung der Zähne und die Nutzung des Magen-Darm-Trakts und umso geringer ist die Langeweile.“ Fr. Dr. Jutta Hein
Hinzu kommt, dass kommerzielles Fertigfutter, Getreide, getrocknetes Gemüse und Leckerlis anders gekaut werden, als Frischfutter. Es wird einfach „zerquetscht“ anstatt zwischen den Zählen zermahlen. Dadurch erhöht sich der Druck auf den Kiefer, was zu Zahnerkrankungen wie z.B. retrogradem Zahnwachstum führt. (Böhmer 2014)
Futter, das einfach „zerquetscht“ und nicht gemahlen wird, fördert dadurch die Entstehung von Zahnspitzen. Meerschweinchen haben einen breiteren Unter- als Oberkiefer, d.h. wenn sie das Futter nicht mahlen, kommt nur ein Teil der Oberkiefer-Zähne mit denen des Unterkiefers in Kontakt, der andere Teil wird nicht vom Gegenspieler abgenutzt (siehe Grafik). Wird die Nahrung zermahlen, so wird der Rest des Zahnes auch mit abgeschmirgelt. Zudem ist ein Zusammenhang zum Mangel am Vitamin C bekannt, der die Zähne kippen lässt. Das ist der Grund, warum Zahnspitzen im Unterkiefer immer Richtung Zunge wachsen (und sogar eine Brücke über der Zunge bilden können!) und Zahnharken im Oberkiefer in die Backen bohren.
2. Abrieb durch Silikate
Neben der dem reinen Aneinanderschleifen der Zähne ist noch ein weiterer Punkt wichtig für den Backenzahn-Abrieb: Das Silicat (Fritz 2007), auch Silikat, Silicium oder Kieselsäure genannt.
Biogene Silicate sind in allen Pflanzen wie z.B. Wiesenkräutern, Gräsern, Gemüse, Obst, Saaten und Rinden enthalten, außerdem nimmt das Meerschweinchen eine Menge Silikat durch Schmutzpartikel aus der Nahrung auf (Silikate aus Sand, Staub, Boden, Erde…).
Silicium besteht aus einer kristallinen Struktur, diese führt auf der Zahnoberfläche beim Kauen zu einem Schmirgeleffekt, vergleichbar mit Schleifpapier. Silikat ist härter als die Zähne und hat somit die Möglichkeit diese zu formen. Weitere Stoffe die in der Nahrung enthalten sind können sich nur auf den Zahnabrieb auswirken sofern sie härter als der Zahn selber sind.
Siliziumgehalt der Trockensubstanz (Roth 2007):
Heu 640mg/kg
Weidepflanzen-Schnitt 1820mg/kg
Durch die Trocknung von Wiesenpflanzen zu Heu, und der damit einhergehenden Struktur-Veränderung, geht ein großer Teil des Silikates verloren.
Einige Hersteller werben schon für ihre Produkte, indem sie auf den Silikatgehalt und dessen Wirkung auf den Zahnabrieb hinweisen (z.B. Versele-Laga Cavia Complete).
Abnutzung der Schneidezähne
Die weit verbreitete Meinung, dass Äste und andere Nageobjekte dem Abrieb der Schneidezähne dienen, beruht auf einem Irrtum.
„Die Abnutzung der Schneidezähne erfolgt zum größten Teil durch Abnutzung aneinander beim Nagen und Kauen und nicht, wie häufig fälschlicherweise vermutet, durch Abrieb an benagten Gegenständen. Insofern ist das Angebot von Material zum Nagen zwar nützlich, um das Nagen zu fördern, mit einem härteren Material wird aber keine deutlich stärkere Abnutzung erreicht (z. B. Nagestein).
Im Normalfall entspricht die Abnutzung der Zähne dem Wachstum. Dadurch wird die Zahnlänge in etwa gleichgehalten. Das funktioniert aber nur, wenn eine ausreichende Kautätigkeit vorhanden ist.“ Schreyer 2009
Eigentlich ist nicht die Härte des Futters bedeutend für die Abnutzung der Vorderzähne, sondern vielmehr die Kauaktivität. Auch die Schneidezähne reiben sich aneinander und nicht an der Nahrung ab (Wolf, Kamphues u. Soltan 1995).
Somit gilt für den Abrieb der Vorderzähne das Gleiche wie für den Backenzahnabrieb. Bei normalen Mahlbewegungen der Backenzähne werden korrekt stehende Vorderzähne mitgeschliffen.
Zahnerkrankungen? Den Zahnabrieb unterstützen
Meerschweinchen mit Zahnerkrankungen kann man durch eine Ernährungsanpassung unterstützen. So kann der Abstand zwischen den Zahnbehandlungen teils drastisch verlängert oder eine regelmäßige Behandlung sogar überflüssig werden. Dabei kommt es aber darauf an, welche Zahnerkrankung vorliegt. Zunächst sollten die Zähne geröngt und professionell in Narkose nach den Referenzlinien geschliffen werden. Durch eine hochwertige Behandlung werden die Zähne im Idealfall in ihre Normalfunktion zurückversetzt, so dass anschließend der Zahnabrieb wieder besser funktioniert. Wichtig ist, dass die Ursache der Zahnerkrankung gefunden und behandelt wird.
So unterstützen Sie den Abrieb der Zähne:
Bitte beachten Sie unbedingt die allgemeinen Ernährungsinfos!
Der Zahnabrieb wird am besten durch blättriges, frisches Futter, das gerne gefressen wird, energiearm, langfaserig/strukturiert, und ständig verfügbar ist, gewährleistet. Ein hoher Gehalt an Kieselsäure unterstützt diesen Effekt.
- Reine Wiesenfütterung: Ideal geeignet sind frische Wiesenkräuter und -gräser, da sie in großen Mengen gefressen, lange gekaut und kieselsäurereich sind. Sie haben gegenüber Heu den Vorteil, dass wesentlich größere Mengen gefressen werden (da sie zu 80% aus Wasser bestehen) und weniger schnell sättigen. Viele Halter machen die Erfahrung, dass ihre Meerschweinchen mit Zahnerkrankungen im Sommer bei reiner Wiesenfütterung dreimal so lange Abstände zwischen den Zahnkorrekturen haben, als im Winter.
- Ersatzweise Blattgemüse: Gemüse ist vergleichsweise kieselsäurearm und weniger faserig, deshalb ist frische Wiese grundsätzlich vorzuziehen. Im Winter kann man auf Blattgemüse (Bittersalate, Kohl, Stangensellerie, Spinat, Löwenzahnsalat…) und Gemüsegrün (Karottengrün, Kohlrabiblätter, Blumenkohlblätter, Selleriegrün, …) ausweichen. Am besten schneidet man Blätter in Streifen. Knollengemüse dient kaum den Zahnabrieb und sollte nur äußerst wenig gegeben werden.
- Frische Küchenkräuter sind ideal für den Zahnabrieb geeignet.
- Kieselsäure nutzen! Viele Pflanzen enthalten in ihren Stängeln Kieselsäure, diese verleiht den Pflanzen zusätzlich Stabilität. Als besonders siliziumhaltige Pflanzen sind Ackerschachtelhalm (Zinnkraut), Bambus, Breitwegerich, Brennnessel, Hohlzahn, Knöterich, Lungenkraut, Sauergräser, Spitzwegerich, Süßgräser und viele weitere bekannt. Einige Halter haben hervorragende Erfahrungen mit der Zufütterung von Ackerschachtelhalm gemacht. Da er giftige Doppelgänger hat (andere Schachtelhalme), sollte er allerdings sicher bestimmt werden. Es gibt ihn auch getrocknet zu kaufen. Geben Sie nur geringe Mengen, sonst kann es zu einem Vitamin B1 Mangel kommen, welcher Krämpfe und Lähmungen hervorrufen kann. Aber Achtung: Bei der Trocknung geht etwas Kieselsäure verloren. Gartenbambus lässt sich hervorragend im Topf z.B. auf dem Balkon pflegen und ist auch im Winter grün!
- Erde ist siliziumreich: Wer das Grünfutter mit einer Blumensprüher anfeuchtet und dann mit Heilerde pudert, kann den Zahnabrieb verstärken. Gerade Innen-Meerschweinchen nehmen oftmals kaum Erde auf. Auch bepflanzte Schalen, Töpfen oder Käfigwannen, so wie das Produkt Kräuterwiese von JR Farm können eine Erdquelle darstellen.
- Achtung vor Trockenfutter: Verwenden Sie kein Trockenfutter, keine handelsüblichen Leckerlis, kein hartes Brot oder Getreideflocken. Diese Produkte sind auch für gesunde Meerschweinchen ungeeignet, bei Zahnerkrankungen können sie jedoch das Problem massiv verstärken! Informieren Sie sich zur gesunden Ernährung. Als Leckerli eignet sich ein Stück Obst oder frische Kräuter.
Achtung bei Meerschweinchen mit starken Zahnfehlstellungen (extreme Einzelfälle): Evtl. kann Ihr Meerschweinchen die Nahrung nicht mehr ausreichend zerkleinern, dann kann es hilfreich sein, zusätzlich zum vielfältigen Grünfutter kommerzielle Fertigfutter wie z.B. Heucobs oder Cavia Complete eingeweicht zu verfüttern. Dadurch wird Durchfall verhindert.
Tipp: Wer sich zum Thema fortbilden möchte, dem können wir die Webinare der Tierärztin Dr. Diana Ruf ans Herz legen! Zu den Webinaren
Quellen:
Beuch-Ahrendt, A.: Ernährung von Kaninchen und Meerschweinchen, Degus und Chinchillas. 2005
Böhmer E: Zahnheilkunde bei Kaninchen und Nagern. Lehrbuch und Atlas. Schattauer-Verlag 2010
Bucher, L.: Fütterungsbedingte Einflüsse auf Wachstum und Abrieb von Schneidezähnen bei Zwergkaninchen. Freie Universität Berlin, 1994
Ewringmann, A., & Glöckner, B. (2012). Leitsymptome bei Meerschweinchen, Chinchilla und Degu: Diagnostischer Leitfaden und Therapie. Georg Thieme Verlag.
Fritz, J.: Allometrie der Kotpartikelgröße von Pflanzenfressenden Säugern, Reptilien und Vögeln, München, Ludwig-Maximilians-Universität 2007
Handermann, A.: Zahnabrieb & Zahnabnutzung. Zahnabrieb beim Chinchilla, Meerschweinchen, Degu, Kaninchen & Co. https://www.chinchilla-scientia.com/gesundheit/normale-erscheinungsformen/zahnabrieb/ [Abruf am 13.02.19]
Handl, S.: Artgerechte Haltung und Fütterung von kleinen Heimtieren. Institut für Ernährung, 2008
Hartmann, M. (2007). Zahnextraktion hypsodonter Zähne bei Nagern und Hasenartigen. veterinär spiegel, 17(01), 22-27.
Hein, J.:WPF Heimtierkrankheiten: Krankheiten der Heimtiere; Fütterung. Ludwig-Maximilians-Universität München, Medizinische Kleintierklinik
Kamphues, J.: Kaninchen und Meerschweinchen: Häufige Fütterungsfehler und Hinweise zur Diätetik, 2004
Neumaier, L.: Stuktur in der Ernährung. http://www.heimtierwissen.de/Seiten/Ernaehrung/Struktur.html [Abgerufen am 13.02.2019]
Pairet, M./Bouyssou, T/Auvergne, A/Candau, M./Ruckebusch, Y.: Reproduktion Nutr. Dévelop, 1986
Roth, C./Ganter, M.: Urolithiasis bei einem Lamawallach – Ein Fallbericht. Tierärztliche Hochschule Hannover, 2007
Rother, N., & Lazarz, B. (2017). Haltungs-und fütterungsbedingte Erkrankungen beim Meerschweinchen. kleintier konkret, 20(S 01), 31-36.
Schreyer, J.: Zahnerkrankungen bei Kaninchen und Nagern. Universität Leipzig, 2009
Schulz-Kornas, E. Kaubewegung und Zahnabrieb: welchen Einfluss haben verschiedene Futtermittel auf die Kaufläche. Leipziger Blaue Hefte, 22.
Wolf, P./Kampues, J.:Kritische Einschätzung kommerzieller Ergänzungspräparate für Kaninchen,Meerschweinchen. Institut für Tierernährung, Tierärztliche Hochschule Hannover, 2003
Wolf, P/Kamphues, J./Soltan, M.: Vergleichende Untersuchungen zu Fütterungseinflüssen auf die Entwicklung der Schneidezahnlängen bei Kaninchen, Chinchillas und Ratten. 1995
Wolf, P/Kamphues, J.:Probleme der art- und bedarfsgerechten Ernährung kleiner Nager als Heimtiere. Prakt. Tierarzt, 1995