Es gibt verschiedene Situationen, die eine Handaufzucht oder auch ein unterstützendes Zufüttern von Jungtieren notwendig machen. Hierzu gehört allen voran der Verlust des Muttertieres oder eine Erkrankung der Mutter, die es ihr unmöglich macht, ihre Jungtiere selbst zu versorgen. Hier ist menschliches Eingreifen notwendig, um die Jungtiere zu retten.
Je nach Situation sind unterschiedliche Maßnahmen angezeigt, den Jungtieren den Start ins Leben zu erleichtern. Denn auch wenn Meerschweinchen als Nestflüchter bereits am Tag ihrer Geburt sehr aktiv sind und auch schon beginnen selbstständig zu fressen, so sind sie dennoch für 3-4 Wochen auf Muttermilch und Fürsorge angewiesen.

Gründe für Handaufzuchten oder Zufüttern

  • Verlust der Mutter durch Geburtskomplikationen, Erkrankung oder mangelnden Mutterinstinkt
  • Milchmangel der Mutter durch allgemeine Schwächung, Krankheit, Fehlfütterung
  • sehr große Würfe, bei denen nicht alle Jungtiere ausreichend versorgt werden können
  • sehr geringe Geburtsgewichte der Jungtiere (<50g)
  • sehr ungleiche Geburtsgewichte innerhalb eines Wurfes und damit ein sehr ungleiches Kräfteverhältnis der Jungtiere

Grundlegende Informationen

  • Meerschweinchenmütter haben nur zwei Zitzen, können aber problemlos einen gesunden Wurf von bis zu 5 Jungtiere ohne Unterstützung aufziehen, wenn die Rahmenbedingungen (Allgemeinzustand der Mutter, Haltung und Fütterung) stimmen.
  • Junge Meerschweinchen kommen voll entwickelt und bereits mit bleibenden Zähnen zur Welt und sind sofort aktiv und probieren am Futter der Mutter mit. Jungtiere, die nach der Geburt schlapp, inaktiv und müde sind, brauchen in den meisten Fällen Unterstützung.
  • Oft beginnt das Muttertier erst am Tag der Geburt mit der Milchproduktion (durch hormonelle Einflüsse der Geburt und das Fressen der Nachgeburten wird die Produktion angeregt.), daher und weil sie natürlich erst einmal viel Energie verbrennen, nehmen die meisten Jungtiere in den ersten 2-3 Tagen ab. Eine Reduktion des Geburtsgewichts um bis zu 10% ist als normal anzusehen. Nur wenn es dann nicht wieder aufwärts geht oder der Gewichtsverlust deutlich größer ist, ist ein Eingreifen notwendig.
  • Leben mehrere Meerschweinchenmütter in einer Gruppe, so teilen sie sich die Aufzucht. Meerschweinchenmütter sind besonders in den ersten Tagen der Aufzucht sehr tolerant was fremden Nachwuchs angeht und säugen diesen auch bereitwillig. Dies macht die Gabe von verwaisten Jungtieren an eine Amme so einfach wie bei kaum einer anderen Tierart.

Wann sollten die Jungtiere zugefüttert werden?

Beim Verlust des Muttertieres muss natürlich sofort mit der künstlichen Aufzucht begonnen werden.
Generell ist allerdings eine Aufzucht bei einer Mutter mit wenig Milch (Zufüttern) und eine Aufzucht bei einer Amme einer alleinigen Handaufzucht immer vorzuziehen. Auch zu wenig Milch oder fremde Milch ist besser, als nur Ersatzmilch. Besonders die Aufnahme der Erstmilch (auch Biestmilch oder Colostrum genannt) entscheidet auch beim Meerschweinchen oft über Erfolg und Misserfolg der Aufzucht und kann kaum künstlich ersetzt werden.

Ist die Mutter am Leben und in der Lage sich um die Jungtiere zu kümmern, gilt, dass nicht leichtfertig auf Verdacht oder zu früh zugefüttert werden sollte. Sind die Jungtiere agil und hält sich der Gewichtsverlust im normalen Rahmen so sollte keine Ersatzmilch verabreicht werden. Auch nach einer schweren Geburt sollten die geschwächten Jungtiere nicht sofort mit Ersatzmilch belastet werden. In solchen Fällen ist es sinnvoller, den Neugeborenen einige Tropfen Traubenzuckerlösung oder Honigwasser zu verabreichen und dann zu beobachten, ob sie allein zu Kräften kommen. Nach schweren Geburten sind die Jungen oft unterzuckert und darum recht schwach. Schnell verfügbare Energie in genannter Form ist hierfür die angezeigte „Erste Hilfe“-Maßnahme mit teils erstaunlicher Wirkung. Die so gestärkten Jungtiere haben dann wieder genug Kraft, um ihren Weg an die Zitzen der Mutter zu finden und können sich von da an normal entwickeln.
Nur wenn das Gewicht auch am 4. Tag noch nicht wieder aufwärts geht, der Verlust zu groß wird oder die Jungtiere geschwächt wirken, sollte mit dem Zufüttern von Ersatzmilch begonnen werden.

Womit sollten die Jungtiere gefüttert werden?

Meerschweinchen sind in der Handaufzucht im Vergleich zu anderen Tierarten recht unkompliziert. Darin liegt auch die Vielzahl an Möglichkeiten und Produkten begründet mit denen „gute Erfahrungen“ bei der Aufzucht oder dem Zufüttern gemacht wurden.
Von Züchtern und Notstationen am häufigsten empfohlen werden Katzenaufzuchtsmilch ohne Taurin, Humana Heilnahrung, Sondennahrung oder diverse Pre-Milch-Produkte für Säuglinge. Auch wenn man scheinbar sehr viele Möglichkeiten hat, Meerschweinchensäugline zu ernähren, sollte dennoch ein kritischer Blick auf die Zusammensetzung der Produkte geworfen werden. Denn auch eine Aufzucht mit Eigenmischungen aus weit weniger Zutaten, ohne Soja und ohne synthetische Vitamine ist durchaus möglich, erfolgreich und weit weniger belastend für den kleinen Körper.
Bei der Wahl des Michersatzes sollte die Physiologie der Meerschweinchen bestenfalls nicht aus den Augen verloren werden.

Hier ein Vergleich der gängigen Produkte, welche zur Aufzucht verwendet werden, mit der Zusammensetzung von Meerschweinchenmilch.

Daraus ist abzuleiten, dass sich die Ziegenmilch von allem am besten eignet, sofern man sie nur mit der Häfte der empfohlenen Wassermenge anrührt. Dann kommen die wichtigen Inhaltsstoffe Eiweiß-, Fett- und auch der Energiegehalt der Muttermilch am nächsten. Der höhere Zuckergehalt ist hier nicht als problematisch anzusehen, da Handaufzuchten durch Stress und Manipulation ohnehin einen höheren Energiebedarf haben. Außerdem ist der natürliche Gehalt an Vitamin C in Ziegenmilch im Vergleich zu anderen Ersatzmilchpulvern am höchsten und erspart den synthetischen Zusatz.

Ein Vergleich der oft am meisten empfohlenen Katzenaufzuchtsmilch war leider aufgrund mangelnder Deklaration nicht ausreichend möglich. Gleiches gilt für die einzige „Kleintieraufzuchtsmilch“ am Markt, auch dort ist die Deklaration mangelhaft und die Inhaltsstoffe mehr als fraglich.
Die Vielzahl der Humanprodukte ähneln sich in der Zusammensetzung und müssten aufgrund der niedrigen Eiweiß- und Fettwerte sehr stark konzentriert werden, um junge Meerschweinchen ausreichend zu versorgen. Dies würde allerdings zu einer massiven Überversorgung mit Mineralstoffen und synthetischen Vitaminen führen und ist daher nicht zur alleinigen Aufzucht zu empfehlen.
Für ein Zufüttern von anfänglich schwachen Jungtieren bieten sich einige Humanpräparate (Heilnahrung oder Pre Nahrung) an, da sie schnell zu bekommen und kostengünstig sind. Allerdings sollten diese für eine vollständige mutterlose Aufzucht kritisch betrachtet werden.

Als Faustregel gilt: Je kürzer die Liste der Inhaltsstoffe, umso weniger belastend ist die Ersatzmilch für den Darm.

Wir empfehlen Folgendes zur mutterlosen Aufzucht von Meerschweinchenwaisen:

– Ziegenmilchpulver (z.B. Marengo) mit der Häfte der angegebenen Wassermenge angerührt (10g auf 45ml Wasser)
– nicht zu heiß (max. 60°C) anrühren um die natürlichen Inhaltsstoffe zu schonen und körperwarm anbieten (Temperatur testen!)
– zum Andicken der Milch und zur Darmpflege kann ein wenig Kokosmehl eingerührt werden
– ab der 2. Lebenswoche können Vollkorn-Hafer-Schmelzflocken den Nährwert der Milch aufwerten

Da Meerschweinchen als Nestflüchter sofort auch feste Nahrung zu sich nehmen, ist es nicht erforderlich, die Aufzuchtsmilch mit „normalem“ Päppelbrei oder Gemüsebrei zu versetzen. Diese Nahrung nehmen die Jungtiere allein auf und eine künstliche Verabreichung wirkt sich mitunter negativ auf das Erlernen der Nahrungswahl aus.
Der Milchersatz sollte auch wirklich nur die Muttermilch ersetzen und nicht mit zu vielen Zutaten angereichert werden.

Wie und wie oft müssen die Jungtiere gefüttert werden?

In der ersten Lebenswoche sollten die Jungtiere in einem Rythmus von 2 Stunden gefüttert werden. Anfangs umfasst man das Jungtier hierfür in aufrecht-sitzender Haltung und lässt die Ersatzmilch tröpfchenweise zwischen die Lippen des Jungtieres fließen, so dass die Milch problemlos und langsam aufgeleckt werden kann. Anfangs sollte die Spritze nicht ins Mäulchen eingeführt werden und auch nur sehr vorsichtig Ersatzmilch herausgedrückt werden.
Verschlucken der Milch kann zu einer tödlichen Lungenentzündung führen!

Jungtier beim Zufüttern in der 2. Lebenswoche

Die Jungtiere werden nach wenigen Fütterungen selbstständig an der Spritze saugen und dann muss die Ersatzmilch vorsichtig und langsam mit Druck auf den Spritzenkolben verabreicht werden.
Die Mengen richten sich anfangs nach den Jungtieren und es ist sehr wichtig, ihnen keine Ersatzmilch unter Zwang zu verabreichen.
Durchschnittliche Trinkmengen sind der Tabelle zu entnehmen.

Die Jungtiere sollten in einem relativ regelmäßigen Rythmus von ca. 2 Stunden gefüttert werden und in den ersten zwei Lebenswochen mind. 6 Mahlzeiten erhalten, um auf ihre Tagesration zu kommen. In der dritten Lebenswoche kann auf 4 Mahlzeiten reduziert werden und gegen Ende der 4. Lebenswoche sollte die Ersatzmilch langsam ausgeschlichen werden.
Es ist auch durchaus legitim und möglich bei fitten Jungtieren eine nächtliche Versorgungspause von ca. 5 Stunden einzulegen, ohne dass dies zu Problemen führt.

Eine Ersatzmilchfütterung über das Ende der 4. Lebenswoche hinaus ist nur in seltenen Fällen bei z.B. entwicklungsverzögerten Jungtieren notwendig und sinnvoll. Die Darmflora verändert sich im Absatzalter erheblich und somit sinkt auch die Toleranz für Milchersatz erheblich. Länger als bis zur 6. Lebenswoche sollte keine Ersatzmilch verabreicht werden.

Unterbringung der Jungtiere während der Handaufzucht

Die Haltung wärend der Aufzucht hängt natürlich vor allem vom Grund der Notwendigkeit der Handaufzucht ab.
Hat man nur einen Mickerling in einem Wurf mit fürsorglicher Mutter muss man in der Regel keine besonderen Maßnahmen ergreifen und belässt die kleine Familie in der gewohnten Umgebung (auch Außenhaltung) und füttert nur zu. Die Jungen gewöhnen sich schnell an ihre Extraportion und kommen dann auch freiwillig angelaufen.

Hat man ein oder mehrere verwaiste Jungtiere, sollten diese keinesfalls ohne erwachsenes Tier bleiben. Für Prägung und auch das spätere Sozialverhalten ist es sehr wichtig, dass ein erwachsenes (erfahrenes Weibchen) als Mutterersatz zu den Jungen gesellt wird, auch wenn diese nicht als Amme fungiert.
Gefüttert werden die Jungtiere von Hand, die Fürsorge und Wärme sollten sie aber von einem Artgenossen erhalten. Es gibt auch Fälle in denen Kastrate diese Rolle übernommen haben. Wichtig ist das mind. ein erwachsenes Tier bei den Jungtieren ist.

Sehr schwachen Jungtieren sollte eine Wärmequelle angeboten werden, bis sie sich berappelt haben. Ansonsten sind Wärmequellen oder das Herumtragen der Jungtiere in einem Kuschelnest unnötig bis kontraproduktiv.