Laien sollten Meerschweinchen nicht einfach vermehren, es sind erhebliche Risiken für das Muttertier und die Jungtiere damit verbunden!
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Anatomie und Geschlechtsbestimmung
Jedem Zuchtgedanken oder auch ungewollten Trächtigkeiten von Nottieren/Liebhabertieren steht vorran, dass man die Geschlechter der Tiere einwandfrei bestimmen kann. Beim Meerschweinchen ist dies, im Vergleich zu anderen Nagerarten oder auch Kaninchen, sehr einfach. Entgegen vieler Behauptungen ist eine eindeutige Geschlechtsbestimmung bereits direkt nach der Geburt möglich.
Lassen Sie sich niemals auf einen Züchter/Verkäufer ein, der behauptet man könne die Geschlechter noch nicht erkennen! Das ist IMMER ein Zeugnis mangelnder Sachkunde und damit unseriöser Herkunft!
Als kleine Eselsbrücke lässt sich anwenden das die äußeren Geschlechtsmerkmale beim Weibchen wie ein „Y“ und beim Böckchen wie ein „i“ geformt sind.
Beide Geschlechter verfügen über ein Zitzenpaar am Unterbauch. Das Vorhandensein von Zitzen ist also kein Hinweis darauf, dass es sich um ein Weibchen handelt. Die Hoden adulter Meerschweinchenböcke sind recht prominent, da sie von einem großen Fettkörper umgeben sind. Dieser dient dem Schutz und der Klimatisierung der Hoden. Der Penis lässt sich mit leichtem Druck auf den Unterbauch vorlagern und sollte hin und wieder auf Verunreinigungen geprüft und ggf. gesäubert werden. An seiner Spitze sind zwei kleine Widerhaken zu finden. Es wird vermutet das diese, ähnlich wie bei Katzen, den Eisprung des Weibchens stimulieren. Zwischen Penis und Anus des männlichen Tieres sitzt die Perinealtasche, in dieser befindet sich eine Drüse, die ein talgiges, streng riechendes Sekret absondert. Dies dient den Böcken zur Markierung und zum Umwerben der Weibchen. Beim Balzen kann man beobachten wie der Bock mit seiner Perinealtasche „blitzt“ und über den Boden reibt.
Geschlechtsreife
Junge Meerschweinchen sind als Nestflüchter sehr schnell in ihrer körperlichen Entwicklung. Die Jungtiere erreichen ihre Geschlechtsreife bereits mit 3-6 Wochen. Da die Brunst bei so jungen Weibchen in der Regel nicht sichtbar verläuft, sollte die Entwicklung der Böckchen des Wurfes über den Zeitpunkt des Absetzens bzw. der Frühkastration entscheiden. Hierzu sollten regelmäßig Hodenstand, Verhalten und Gewicht des Jungbockes geprüft werden. Für eine Trennung vom Muttertier und den weiblichen Geschwistern gilt die Faustregel vom 250 g Körpergewicht und Hoden die beginnen sich abzusenken. Dies entspricht in der Regel einem Absatzalter von ca. 4 Wochen. Eine Frühkastration ist optimaler Weise mit 3-4 Wochen und einem Gewicht von 200-250 g durchzuführen.
Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel und so kann es bei kleinen Würfen auch sein, dass Jungböcke bereits mit 2-3 Wochen dieses Gewicht erreichen. In diesem Fall sollte man ausschließlich nach dem Hodenstand gehen und sich keinesfalls verleiten lassen, die Böcke schon derart früh vom Muttertier zu trennen.
Zuchtreife
Trotz der sehr früh einsetzenden Geschlechtsreife ist es nicht anzuraten, Tiere bereits so jung zu verpaaren oder gar in Zuchtgruppe aufwachsen zu lassen. Der Organismus der Tiere sollte Energie und aufgenommene Nährstoffe zuerst in die eigene Entwicklung und damit in eine stabile Basis stecken können. Es ist immer wieder zu beobachten, dass Weibchen, die zu jung gedeckt wurden, in ihrer eigenen Entwicklung zurückbleiben oder es zu schweren Komplikationen unter Trächtigkeit und/oder Geburt kommt. Ebenso fehlt jungen Weibchen nicht selten die geistige und soziale Reife, was sich negativ auf die Aufzucht der Jungtiere auswirken kann. Zur Zuchtreife gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Jeder Züchter macht seine Erfahrungen und nicht zuletzt spielen auch Haltung und Fütterung eine wichtige Rolle. Vor dem 6. Lebensmonat sollte ein Weibchen nicht verpaart werden und dann auch nur, wenn es bei guter Kondition ist. Pauschale Gewichtsangaben sind hier recht schwierig (auch wenn sie immer wieder gern gemacht werden), weil unsere Haus- und Rassemeerschweinchen teilweise auch recht groß werden, fällt das Gewicht der optimalen Zuchtkondition doch sehr unterschiedlich aus.
Auch Böcke sollte nicht zu früh in Verpaarung gesetzt werden. Zwar sind keine gravierenden, körperlichen Schäden zu erwarten, aber auch hier sollte der individuellen Entwicklung genügend Raum gelassen werden. Ein Bock der später in die Zucht gehen soll, muss genauso sorgfältig sozialisiert werden und in artgerechter Haltung zusammen mit anderen (älteren) Böcken und Kastraten aufwachsen dürfen. Sollte ein Jungbock aus zuchtmethodischen Gründen sehr früh eingesetzt werden ist, zu beachten, dass es für den kleinen Körper großen Stress bedeutet. Es ist möglich, dass erfahrene Weibchen sich nicht von einem Jungspund decken lassen oder er sich durch seine Unerfahrenheit körperlich übernimmt und so Entwicklungsverzögerungen eintreten. Auch für die Sozialisierung auf gleichgeschlechtliche Partner ist diese Vorgehensweise nicht optimal und sollte gut überlegt sein.
Paarung und Trächtigkeit
Weibliche Meerschweinchen haben einen Brunstzyklus von 13-19 Tagen, dann sind sie für wenige Stunden empfängnisbereit und bieten sich den Böcken auch sehr aktiv und lautstark an (Brunst/Östrus: 6-11 Stunden). Der Eisprung beim Meerschweinchen ist deckakt-induziert. Dies bedeutet, dass ein Eisprung nur auftritt, wenn eine Kopulation stattfindet. Dazu kommt es etwa 10 Stunden nach dem Deckakt. In der Hochbrunst steigt der Bock mehrfach auf das Weibchen auf, der Akt selbst dauert nur wenige Sekunden und in dessen Anschluss beginnen beide Tiere sich zu putzen. Die Vagina des Weibchens wird in der Regel mit einem sogenannten „Deckpfropf“ verschlossen. Dieser besteht aus einer wachsartigen Substanz, welche der Bock mit dem Ejakulat absondert. Er fällt nach einiger Zeit heraus und trocknet ein, oft bleibt er gänzlich unbemerkt.
Meerschweinchen tragen im Vergleich zu anderen Nagetieren recht lange. Vom Deckakt bis zur Geburt verstreichen 68-72 Tage, in denen sich die Jungtiere zu völlig fertigen, kleinen Meerschweinchen entwickeln. Sogar die Milchzähne verlieren sie bereits im Bauch der Mutter und kommen mit dem bleibendem Gebiss zur Welt. Durch die ständig nachwachsende, wurzellose Beschaffenheit wachsen die Zähne mit dem Tier.
Wirklich sicht- und fühlbar wird eine Trächtigkeit erst in den letzten vier Wochen, bis dahin findet noch kein nennenswertes Größenwachstum der Jungtiere statt. Ab ca. 3 Wochen vor Ende der Trächtigkeit sind die Bewegungen der Jungtiere zu spüren. Nun legt auch das Weibchen sichtbar an Umfang zu. Jedes Jungtier wird bei der Geburt (inkl. Nachgeburt und Fruchthüllen) ca. 10% des Gewichtes der Mutter auf die Wage bringen. So ergibt sich, dass das Weibchen bei großen Würfen 50% (oder mehr) ihres Körpergewichtes zunimmt. Diese starke Gewichtszunahme kann auch zum größten Risiko der Trächtigkeit werden, da durch sie ein Energiedefizit und damit eine Trächtigkeitstoxikose verursacht werden kann. Das Weibchen sollte in den letzten 2 Wochen der Trächtigkeit engmaschig, aber möglichst stressfrei, gewogen werden. Auch die Bewegungen der Jungtiere sollten überwacht werden. Zum Ende der Trächtigkeit kann die Zunahme stagnieren, das Muttertier sollte aber kein Gewicht verlieren. Auch die Jungtierbewegungen werden in den letzten Tagen aufgrund der Enge im Mutterleib schwächer. Dafür ist nun recht deutlich ein Zähneknirschen der Jungtiere zu spüren.
Futterumstellungen und Stress sind in den letzten vier Wochen der Trächtigkeit strikt zu vermeiden. Das Weibchen sollte dringend in seiner gewohnten Umgebung und Gruppe belassen werden. Es ist nicht nötig und auch nicht sinnvoll, das Tier für Geburt und Aufzucht zu separieren. Einzelhaltung wäre mit erheblichem Stress verbunden und kann somit für massive Probleme sorgen.
Die Geburt in der gewohnten Umgebung und Gruppe bietet, bei normalem Verlauf, nur Vorteile für das Weibchen und den Nachwuchs. Die anderen Gruppenmitglieder verhalten sich unter der Geburt meist sehr ruhig und zurückhaltend, manchmal helfen sie auch bei der Pflege der Jungtiere und entlasten das Weibchen nach der Geburt.
Geburt
Meerschweinchen gebären in der Regel ein bis sieben Jungtiere. Ein recht zuverlässiges Anzeichen für die nahende Geburt ist das Öffnen der Schambeinfuge. Diese kann man leicht oberhalb der Vulva tasten. Der Schamhügel öffnet sich und es sind die beiden Knochenenden des Schambeins zu tasten, die sonst direkt aufeinander sitzen. Da die Jungtiere beim Meerschweinchen im Verhältnis zum Weibchen sehr groß sind, öffnet sich das Becken sehr weit. Die Geburt steht in der Regel kurz bevor, wenn die Fuge einen Finger breit geöffnet ist. Wann dieser Prozess beginnt, ist von Tier zu Tier unterschiedlich, die ersten Anzeichen sind 3-10 Tage vor der Geburt zu tasten.
Die Geburt selbst verläuft in der Regel sehr schnell und unkompliziert. Sie dauert meist nicht länger als 30 Minuten und es sind vorher meist keine sichtbaren Anzeichen für die nahende Geburt zu erkennen. Meerschweinchen zeigen keinerlei Nestbauverhalten. Bei guter Beoachtung kann man ggf. sehen, wie das Weibchen öfter an für sie geeigneten Orten „Probe“ sitzt und dort kleine Sitzkuhlen hinterlässt. Das Umstellen oder Austauschen der Einrichtung kurz der Geburt sollte unterlassen werden, um das Weibchen nicht zu stressen. Auch sollte man keine Großreinigungen des Geheges ansetzen, wenn alle Anzeichen auf die nahende Geburt hindeuten. Die Liegestellen unter den Unterständen sollten natürlich sauber und bestenfalls mit Heu ausgepolstert sein.
Das Weibchen bewegt sich bis zum Einsetzen der Wehen völlig unauffällig im Gehege, frisst und nimmt am Gruppenleben teil. Mit dem Einsetzen der Wehen sucht es den ausgewählten geschützten Ort auf, den es sich vorher ausgesucht hat.
Das erste Jungtier wird nach wenigen, heftig anmutenden Presswehen geboren. Das Weibchen hockt dabei und zieht das Jungtier unter ihrem Körper hervor, eröffnet die Fruchthüllen und beginnt umgehend es zu putzen um die Eihäute zu entfernen, das Fell zu trocknen und den Kreislauf anzukurbeln. Im Abstand von max. 10 Minuten folgen die weiteren Jungtiere auf die selbe Weise. Im Normalfall sind die Jungtiere binnen weniger Minuten auf den Beinen und kuscheln sich erst einmal aneinander bis das Muttertier mit allem fertig ist und sich weiter um sie kümmert.
Das Weibchen putzt sich und säubert den Geburtsbereich. Eihäute, Nachgeburten und zum Teil auch blutiges Streu werden gefressen damit keine Fressfeinde angelockt werden.
Das Weibchen wird direkt nach der Geburt der Jungen erneut brünstig, daher sollte dringend vermieden werden, dass zum Zeitpunkt der Geburt noch ein potentes Männchen anwesend ist. Eine direkte Wiederbelegung wäre eine enorme körperliche Belastung und birgt hohe Risiken für das Weibchen.
Kommen die Jungtiere in einer Haremsgruppe zur Welt, wird der Kastrat direkt nach der Geburt deutliches Interesse am Muttertier zeigen und sie auch umhertreiben. Dieses Verhalten ist völlig normal und muss bei normalem Verlauf auch nicht unterbunden werden.
Die Jungtiere sollten nach der Geburt gewogen und auf Verletzungen geprüft werden. Der Nabel sollte in den ersten Tagen gut beobachtet werden. Der Nabelschnurrest sollte eintrocknen und es darf keine Schwellung oder andere Entzündungsanzeichen geben.
Aufzucht
Im Unterschied zu anderen Säugetieren, kommen Kaninchen und Meerschweinchen mit recht guten Fettreserven auf die Welt und sind daher selbst bei nicht optimaler Milchleistung recht gut versorgt. Die Plazentaschranke ist bei ihnen durchlässig (Placenta haemochorialis bzw. haemomonochorialis), so dass das Immunsystem bereits im Mutterleib ausgebildet wird, so dass sie nicht so sehr auf Kolostrum angewiesen sind, wie andere Tierarten.
Junge Meerschweinchen sind als Nestflüchter direkt nach der Geburt auf den Beinen und folgen ihrer Mutter und anderen Gruppenmitgliedern durch das Gehege. Sie probieren bereits am Tag ihrer Geburt das bereitgestellte Futter und erlernen mit jedem Schritt das nötige Sozialverhalten.
Das Muttertier beginn meist erst nach dem Fressen der Nachgeburten mit der Milchbildung. Darum, und weil der Stoffwechsel sich erst auf die neue Situation einstellen muss, verlieren die Jungtiere in den ersten 1-3 Tagen an Gewicht.
Bis zu 10% des Geburtsgewichtes sind gut tolerierbar, sollte ein Jungtier aber mehr Gewicht verlieren oder im Vergleich zu seinen Geschwistern deutlich zurückbleiben, kann ein Zufüttern nötig werden.
In der ersten Lebenswoche sollten die Jungtiere täglich zur selben Tageszeit gewogen werden, danach kann man die Intervalle erweitern. Auch das Muttertier sollte engmaschig kontrolliert werden, besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Gesäuge und der Vulva, aber auch die Gewichtsentwicklung gibt Aufschluss darüber wie gut sie die Aufzucht verkraftet.
Es ist in der Regel kein besonderes Aufzuchtsfutter nötig solange die Tiere artgemäß und vielfältig ernährt werden. Die Mutter benötigt zur Milchproduktion viel Füssigkeit, Vitamine und Nährstoffe die mit einer vielfältigen Frischfütterung (insbesondere kräuterreiches Wiesenfutter) in der Regel sicher abgedeckt sind.
Zwischen der 3. und 4. Lebenswoche (200-250 g KGW) ist der optimale Zeitpunkt für eine Frühkastration. Diese ermöglicht, dass die männlichen Jungtiere nicht vor Einsetzen der Geschlechtsreife (in der Regel mit ca. 4 Wochen und 250g KGW) von Mutter und Geschwistern getrennt werden müssen. Sie können direkt nach dem Eingriff zurück in die Gruppe und so wird eine optimale soziale Entwicklung und ein natürliches Absetzen vom Muttertier möglich.
Gibt es keine Möglichkeit zur Frühkastration oder sollen die Jungböcke vlt. später in die Zucht, so ist dies das Alter, in dem sie von Weibchen getrennt und in eine Bock/Kastratengruppe umgesiedelt werden müssen.
Es ist keinesfalls ratsam, Jungtiere in gleichaltrigen Absetzergruppen zu halten, da sie dort kein ausreichendes Sozial- und Konfliktlösungsverhalten erlernen können.
Beim Absetzen der Jungtiere ist auch zu beachten, dass das Muttertier mitunter noch säugt, besonders bei Würfen in denen nur Böckchen gefallen sind, ist es nicht ratsam, alle Jungtiere gleichzeitig abzusetzen, sondern z.B. den Kleinsten noch einige Tage bei der Mutter zu belassen, damit es nicht zu einem Milchstau oder zu starkem Verlustverhalten beim Muttertier kommt.
Weibliche Jungtiere und frühkastrierte Böckchen sollten min. 6-8 Wochen beim Muttertier und im Gruppenverband verbleiben, bevor sie abgegeben werden. Für die Entwicklung des Immunsystems und des Sozialverhaltens ist es sehr wichtig, dass sie nicht mit gerade erreichtem Absatzalter aus ihrer Umgebung gerissen werden. Sollten aus irgendwelchen Gründen potente männliche Jungtiere abgegeben werden, ist es ebenso sinnvoll, diese nach dem Absetzen vorerst in einer stalleigenen Bockgruppe unterzubringen, um das Immunsystem nicht zusammen mit dem Absatzstress noch durch einem Stallklimawechsel zu belasten.
Somit wird das Risiko für immunbedingte Erkrankungen (wie z.B. Absatzpilz, Milben o. Haarlinge) oder übersteigerte Ängstlichkeit im neuen Heim minimiert.
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