Haarballen, Verstopfung
Eine Verstopfung ist zunächst dadurch erkennbar, dass weniger oder gar kein Kot mehr abgesetzt wird. Werden noch kleine Mengen Kot ausgeschieden, dann sind die Köttel hart, klein und deutlich kantiger als sonst. Wenn nur kleinerer, kantiger Kot abgesetzt wird, ist es lediglich eine beginnende Verstopfung, die keine tierärztlichen Therapie, sondern eine Nahrungsumstellung erfordert. Ebenfalls wird kein Kot abgesetzt, wenn das Meerschweinchen wegen einer anderen Erkrankung nicht frisst!
Eine verstopfte Perinealtasche ist keine Verstopfung!
Ursachen
- Zu den häufigsten Ursachen gehört das Fressen von (Klump-)Katzenstreu, Strohpellets, Futterpellets, Karton, Stoffen, Teppichen, Vetbeds/Isobeds oder anderen Dingen, die im Magen und Darm stark aufquellen oder verklumpen (z.B. auch Fremdkörper).
- Verstopfungen werden stark begünstigt oder sogar ausgelöst, wenn das Meerschweinchen sehr trocken, energiereich oder proteinreich ernährt wird. Der trockene Nahrungsbrei kann dadurch nicht angefeuchtet werden und rutscht nicht weiter. Die natürliche Nahrung besteht zu 70-80% aus Flüssigkeit (Frischfutter), daher ist die Meerschweinchen-Verdauung auf einen sehr feuchten Nahrungstransport ausgelegt.
- Ein Parasitenbefall mit Kokzidien, seltener auch mit Hefepilzen oder Würmern kann Verstopfungen auflösen. Geben Sie eine Kotprobe von drei Tagen ab um Parasiten auszuschließen.
- Kein freier Zugang zu Trinkwasser kann Verstopfungen verursachen.
- Infektionserkrankungen
- Raumeinnehmende Erkrankungen der Gebärmutter, Zysten oder anderer Organe
- Auch Bewegungsmangel, eine Haltung, welche die Bewegung einschränkt und/oder
- Verfettungen können eine Verstopfung verstärken.
- Grundsätzlich verstärkt eine faserarme, trockene oder schlecht verdauliche Nahrung die Obstipation.
- Auch wenn plötzlich größere Mengen Trockenfutter oder Leckerlis gegeben werden, kommt es oft zu Verstopfung.
- Zahnerkrankungen
- Eine Unterfunktion der Schilddrüse kann ebenfalls Verstopfungen auslösen.
- Machmal führt auch die Aufnahme von viel Fell (durch das Putzen des eigenen Felles oder des Fell anderer Meerschweinchen im Fellwechsel oder durch das krankhafte Ausreißen von eigenen Fell), das sich im Darm zu einem festen Ballen verknotet (Bezoar, Haarballen) zu Verstopfungen. Meistens machen Haarballen jedoch nur Probleme, wenn nicht rein mit Frischfutter ernährt wird, sondern irgendeine Art von Trockenfutter, Haferflocken etc. gereicht wird oder Grünfutter nicht 14 Std. am Tag verfügbar ist, so dass die Tiere künstlich viel Heu fressen.
Erste Hilfe
Als Notfallmedikation beim Verdacht auf Blähungen eignet sich etwa 0,5ml Simeticon (z.B. Sab Simplex 0,5-1ml/kg 3-6x tägl.) oder ein anderes Mittel mit dem Wirkstoffen Simeticon oder Dimeticon (langsamer wirksam) und 0,5ml Colosan/RodiCare akut (7-10 Tropfen 3x tägl.) oder ein ähnliches Medikament als Notfallmedikament zu Hause haben. Diese Medikamente können, wenn sie rechtzeitig verabreicht werden, Leben retten und sind bei einmaliger Gabe weder bedenklich, noch können sie überdosiert werden.
Zudem sollte das Meerschweinchen sanft am Bauch massiert und die Körpertemperatur mit einem Thermometer gemessen werden. Dafür wird es geölt und 1-2cm in den After geschoben (normal: 37,5-39,5 Grad).
Tritt jedoch keine zeitnahe Besserung ein, sollte gleich ein Tierarzt kontaktiert werden. Je nach Zustand des Tieres kann bis zu eine Stunde abgewartet werden. Ist das Tier dehydriert (Hautfalte legt sich nicht sofort) oder hat es Untertemperatur (unter 37,5 Grad), sollte nach der Gabe sofort der Tierarzt hinzugezogen werden! Die Meerschweinchen müssen auf dem Weg zum Tierarzt gewärmt werden, dafür werden sie auf eine Decke gesetzt, unter der eine Wärmflasche (nicht über 40 Grad) oder ein Snuggle Safe liegt, und mit einer Decke zugedeckt.
Nahrungsverweigerung ist beim Meerschweinchen immer ein absoluter Notfall! Sie endet innerhalb von Stunden tödlich! Verlieren Sie keine Zeit und warten Sie keinesfalls ab!
Behandlung
Wird gar kein Kot mehr abgesetzt, ist ein sofortiger Tierarztbesuch nötig. Hält eine Verstopfung länger an, so kann sie lebensgefährlich werden.
Generell sollte das Tier beim Tierarzt erst stabilisiert werden. Dafür erhält es erwärmte Infusionen (je nach Kreislaufzustand muss diese intravenös verabreicht werden, 20-40 ml/kg)), Wärme, ggf. Sauerstoff, Schmerzmittel (z.B. Novalgin, 10-20 mg/kg, 2-3x tägl. ggf. kombiniert), etwas gegen die Übelkeit (MCP 0,2-1 mg, 1-3x tägl. oder Cisaprid – Achtung nicht länger als drei Tage), ggf. Säureblocker (Omeprazol) und Magenschutz (Sucralfat, Rinitidin) sowie Simeticon/Dimeticon um die Gasblasen zu zerstören.
Lactulose von Albrecht (macht den Stuhl weicher, indem es Wasser aus dem Darm zieht) können den Abgang der Verstopfung unterstützen. RodiCare Hairball hat sich ebenfalls bewährt.
Colosan/RodiCare akut (oder vergleichbare Präparate) helfen die Verdauung wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Achtung: Pflanzenöle werden zu gut 80% bereits im Dünndarm resorbiert und teilweise verseift, so dass sie ggf. nicht ankommen, wo sie benötigt werden. Im Magen und ersten Abschnitt des Dünndarms wirken sie jedoch abführend und wenn größere Mengen verabreicht werden, erreicht eine wirksame Menge Öl auch den Darm. Paraffinöl stört die empfindliche Darmflora und wird deshalb nicht empfohlen, bei eingetrockneten Blinddarm-Inhalt darf keinesfalls Paraffinöl verabreicht werden.
Gezielte Massagen helfen, die Verstopfung an der ermittelten Stelle zu lösen oder Klumpen zu verlagern, so dass der Nahrungsbrei wieder vorwärtsrutschen kann. Der Tierarzt kann nach dem Röntgenbild erklären, an welcher Stelle gezielt massiert werden kann. Erfahrungsgemäß wirken sich Streckbewegungen lösend aus.
Besteht der Verdacht, dass sich krankmachende Keime vermehrt haben (zum Beispiel im Differenzialblutbild an einer Pseudolinksverschiebung erkennbar, die ein Hinweis auf eine Entzündung ist), wird auch ein Antibiotikum wie z.B. Enrofloxacin gespritzt.
Wichtig! Bei einem Verschluss oder wenn der Magen massiv überfüllt ist, kann es durch die Zwangsernährung zu einem Zerreisen der Magenwand (Magenruptur) kommen!
Bei akuten Blähungen ist teilweise eine Überwachung der Meerschweinchen nötig, so dass sie stationär beim Tierarzt bleiben müssen, bis der Kreislauf stabil und die Lebensgefahr abgewendet ist.
Pflege
Bieten Sie Ihrem Meerschweinchen eine eingewickelte Wärmflasche an, denn viele aufgegaste Meerschweinchen sind unterkühlt, es darf diese Wärmequelle jedoch jeder Zeit verlassen. Um die Blähungen schneller zu lösen, sollte das Meerschweinchen zu Bewegung animiert und der Bauch sanft massiert werden. Bieten Sie Ihren Meerschweinchen frischen Dill, andere Küchen- und Wildkräuter und alles, was es fressen könnte direkt vor dem Maul an, damit es möglichst schnell wieder kleine Mengen zu sich nimmt. Wenn es anfängt zu fressen, hat es das Schlimmste überwunden. Eingeweichte Leinsamen oder Flohsamenschalen können den Abgang Verstopfung unterstützen.
Auch reine Kräutertees sind geeignet. Bei Haarballen sollte auf jeden Fall das betroffene Meerschweinchen und alle anderen Meerschweinchen der Gruppe sorgfältig täglich gekämmt werden so dass beim Putzen keine weiteren Haare aufgenommen werden, die das Ganze noch verschlimmern können. Lactulose (Albrecht) und Leinkuchenpellets können ebenfalls lösend wirken. Um die Verstopfung langfristig zu beheben, muss die Ursache gefunden und beseitigt werden (z.B. andere Fütterung, andere Einstreu). Anschließend ist eine grünfutterreiche (so viel Wiesenkräuter und/oder Gemüsegrün wie sie wollen), durch Gemüse und Heu ergänzte Ernährung zu empfehlen. Gerade die Frischfutteraufnahme ist sehr wichtig um Verstopfungen vorzubeugen, eine trockene Ernährung führt unweigerlich zu wiederholten Verstopfungen.
Auch Bewegung kann helfen: Versuchen Sie, das Meerschweinchen vorsichtig zur Bewegung zu animieren, räumen Sie ihn jedoch auch Erholungsphasen ein.
Um das kranke Meerschweinchen zu unterstützen, bietet man dem Meerschweinchen am besten sämtliche Küchen- und Wildkräuter frisch an, auch Luzerne, Klee, Kohl und Wiesenkräuter sollten zur Verfügung stehen.
Auf keinen Fall darf zugefüttert/gepäppelt/zwangsernährt werden! Der Verdauungstrakt ist so schon völlig überfüllt, eine zusätzliche Nahrungsaufnahme in dieser massiven Form verstärkt das Problem und kann zum Tod führen.
Folgende Ernährungs- und Haltungsfehler begünstigen eine lebensbedrohliche Verstopfung:
- Heu als Grundnahrung mit Frischfutterportionen
- Heu als Grundnahrung mit Trockenfutter & Frischfutter (das Trockenfutter saugt auch noch das gesamte Wasser weg)
- Heuernährung,
- Trockenfutter-Ernähhrung und
- Fütterungsformen mit geringen Fasergehalt: Zu viel Kraftfutter (Samen, Getreide etc.), handelsübliches Trockenfutter etc. Das Trockenfutter saugt nicht nur die Flüssigkeit weg, sondern hat kaum Wassergehalt und auch kaum Rohfaser.
Maltpaste? Bezo-Pet-Paste?
Die Zusammensetzung dieser Pasten ist größtenteils fehlerhaft oder gar nicht auf der Verpackung aufgeführt. Meistens wird nur die Wirkung beschrieben, die laut Packungen auf drei Faktoren beruht: Pflanzenöle und -fette, Ballaststoffe und Malt, der verdauungsfördernd sein soll. Katzenpasten sind nahezu identisch mit Meerschweinchenpasten und werden von vielen Haltern auch verwendet. Ballaststoffreich sind diese Pasten jedoch nur für Katzen. Jegliches Meerschweinchen-Futter (Kräuter, Heu, Äste) enthält deutlich mehr Ballaststoffe als diese Pasten! Meerschweinchen nehmen bei normaler Ernährung sehr viel mehr Ballaststoffe als Katzen auf. Was für die Katzen ballaststoffreich ist, kann man für Meerschweinchen als ballaststoffarm einstufen. Malz (Malt) sind Getreidekeime die nach kurzer Ankeimung getrocknet und verarbeitet werden. Oft handelt es sich um den schlecht verdaulichen Weizen. Hinzu kommt eine Menge an Zusatzstoffen die den Meerschweinchen schaden können. Der einzige Bestandteil, der einen Nutzen hat, ist das Pflanzenöl. Dieses kann auch in anderer, gesünderer Form eingegeben werden (pur oder z.B. als „RodiCare akut“). Die Pasten enthalten keine Wirkstoffe die gegen Haarballen helfen könnten. Dafür sind viele schädliche Stoffe enthalten und die meisten Inhaltsstoffe sind nicht angegeben.
Besser geeignet ist RodiCare Hairball, das auf aufgequollenen Flohsamen basiert.
Quellen u.a.
Endlicher, M. (2013): Haltungsbedingte Gesundheitsschäden bei Kaninchen und Meerschweinchen in Privathaushalten und daraus resultierende Haltungsempfehlungen zur Durchführung des § 2 (3) Tierschutzgesetz. Hannover, Tierärztliche Hochschule, Diss.
Ewringmann, A.; Glöckner, B. (2012): Leitsymptome bei Meerschweinchen, Chinchilla und Degu: Diagnostischer Leitfaden und Therapie. Georg Thieme Verlag.
Hamel, I. (2002). Das Meerschweinchen als Patient. Georg Thieme Verlag.
Zinke, J. (2005): Behandlung nichtinfektiöser Erkrankungen bei Kaninchen und Meerschweinchen. Biologische Tiermedizin, 59.
Kino Zinke, J. (2004): Ganzheitliche Behandlung von Kaninchen und Meerschweinchen: Anatomie, Pathologie, Praxiserfahrungen. Georg Thieme Verlag.
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